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Jul

Die Tage sind gezählt

Unglaublich aber wahr, in weniger als 40 Tagen werde ich wieder deutschen Boden unter meinen Füßen haben!
Ich kann es mir im Moment noch nicht so richtig vorstellen. Einerseits freue ich mich sehr meine Familie, meine Freunde, mein Zimmer, vernünftiges Brot und so viele andere Sachen nach einer so langen Zeit wieder zu haben, aber andererseits bin ich schon jetzt traurig, dass ich meine Gastfamilie, meine Freunde hier und vor allem meine 30 Kinder zurücklassen muss, für eine unbestimmte Zeit.
Besonders bei den Kindern tut mir das Leid! Selbst wenn ich einmal wiederkommen sollte, wird es schwierig diese wiederzusehen, denn viele von ihnen werden dann nicht mehr auf der Schule sein, vielleicht sogar umgezogen sein.
Eigentlich wusste ich das vorher, aber in der Realität gestaltet sich diese Vorstellung, mich für immer von dem Leben, das ich im Moment führe, zu verabschieden, nun doch etwas schwieriger, als ich es mir vorher vorgestellt habe. 
Wir planen gerade schon unseren Abschiedsausflug mit den Kindern. Das zeigt, wie endgültig es langsam aufs Ende zugeht.

Aber im Moment probiere ich die Zeit, die mir hier bleibt, noch zu genießen und diesen Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.

Jeden Abend gibt es eine Abschiedsrunde mit Gebet mit allen Kindern. An diesem Abend mal anders: alle mit ihren selbst gestalteten Kerzen.

Jeden Abend gibt es eine Abschiedsrunde mit Gebet mit allen Kindern. An diesem Abend mal anders: alle mit ihren selbst gestalteten Kerzen.

Da ich sehr lange keinen Blogeintrag mehr geschrieben habe fange ich nochmal ganz am Anfang an, nämlich nach den Sommerferien im März:

Nach den Ferien die Kinder wiederzusehen war wirklich schön! Sie haben sich sehr gefreut und ich mich ebenso. Doch wie das eben ist, haben einige Kinder  Hogar verlassen und neue sind dazu gekommen. Besonders in den ersten Wochen hat dies für ein bisschen Unruhe gesorgt, da sich die Neuen erst einfinden mussten. Doch mittlerweile ist dieser Prozess abgeschlossen. Auch für Lena und mich war dies eine Umstellung; letztes Jahr hatten wir gar keine Erstklässler im Hogar, dieses Jahr gleich drei in der Nachmittagsgruppe und einen in der Morgensgruppe. Alle vier sind wirklich süß, aber brauchen auch extra viel Aufmerksamkeit, Zuwendung und vor allem Unterstützung. Alleine Arbeiten ist für alle vier ein Fremdwort und so habe ich immer etwas zu tun und mir wird niemals auch nur ansatzweise langweilig. Doch der Aufwand rentiert sich, die Kleinen freuen sich so über die Zuwendung und zeigen das noch ganz anders als die Großen.
Zusätzlich zu den Erstklässlern haben wir einen weiteren kleinen Jungen bekommen der noch in den Kindergarten geht. Dieser kommt aber hauptsächlich fürs Mittagessen und bleibt nicht bis zum Schluss.
 Es gab aber nicht nur bei den Kindern einige neue, auch bei den Freiwilligen hat sich einiges geändert. Da die Hermana, die letztes Jahr im Hogar geholfen hat, nun für ein halbes Jahr in Spanien ist, und die peruanische Freiwillige von morgens nun nachmittags hilft, brauchten wir für morgens dringend jemand neuen, der mithilft. Dies gestaltet sich nun so, dass zwei ehemalige Lehrerinnen, der benachbarten Schule, die auch vorher schon ein Mal pro Woche geholfen haben, montags und dienstags kommen und mittwochs bis freitags ein ehemaliger Schüler, der letztes Jahr seinen Abschluss gemacht hat. 
Es war folglich nicht nur eine Umgewöhnung an die neuen Kinder, sondern auch an die neuen Mitfreiwilligen. Aber nach vier Monaten klappt das nun alles sehr gut.

Obst für den Obstsalat schneiden

Obst für den Obstsalat schneiden

An meiner konkreten Tätigkeit hat sich nichts geändert. Ich helfe den Kindern hauptsächlich bei ihren Hausaufgaben und spiele danach mit ihnen. Gemeinsam haben Lena und ich den Plan der Freizeitaktivitäten ein wenig geändert, sodass es wir nun einmal die Woche den Kindern zeigen, wie man Blockflöte spielt und einmal ihnen Spiele, wie Brennball, Burgenkampf, Hundehüttenfangen, das Chaosspiel, etc. beibringen. Das sorgt definitiv für mehr Abwechslung, auch wenn es sich schwieriger gestaltet, als gedacht Aktivitäten zu finden, die sowohl für die 6-jährigen, als auch für die 12-jährigen interessant sind und für die einen nicht und zu schwer und für die anderen nicht zu leicht sind.
Außerdem haben wir, dank den Spendengeldern aus Deutschland, dafür sorgen können, dass die Kinder zu ihrem Frühstück bzw. Nachmittagssnack nun jeden Donnerstag Obst bekommen. Sie freuen sich immer sehr darüber, vor allem da es donnerstags vom Staat immer Brötchen mit Oliven und Quinoa-Milch gibt, die kaum einem schmecken.

Einmal haben wir auch Gemüse geschnitten, einen Dipp dazu vorbereitet und das danach zusammen gegessen. Dabei haben mich besonders zwei Sachen verwundert. Erstens kannten die Kinder hier keine rote Paprika, die bei den meisten Kindern in Deutschland doch besonders beliebt ist. Hier dachten alle es wäre Rocoto (eine Art Chilli, die hier seeehr verbreitet ist) und hatten Angst diese zu essen. Einige Mutige haben es am Ende doch gegessen und es hat ihnen auch geschmeckt, aber es hat mich einiges an Überzeugungskraft gekosten sie bis dahin zu bringen. Zweitens waren die Kinder vollkommen fasziniert davon, dass man Gemüse auch roh essen kann. Nicht nur einmal wurde ich gefragt, ob wir die Möhren, Paprika, ja sogar die Tomaten nicht vorher noch kochen bzw. braten müssten, bevor wir sie essen könnten. Im Endeffekt waren aber alle begeistert und hatten viel Spaß beim Schneiden und Essen des Gemüses. 

Rohkost essen

Rohkost essen

 

Zubereitung des Dipps

Zubereitung des Dipps

Das Leben in meiner Gastfamilie hat sich auch nicht großartig geändert, außer dass ich meine Gastmutter nun noch weniger, als vorher zu Gesicht bekomme, da sie um die Studiengebühren meiner Gastschwester, die seit Anfang des Jahres Psychologie studiert, zahlen zu können, einen zweiten Job angenommen hat und nun vor mir aus dem Haus geht und erst abends spät bzw. nachts wiederkommt. Das finde ich persönlich ein bisschen schade, aber wirklich etwas daran ändern kann ich auch nicht.
Seit nun knapp zwei Wochen herrscht bei uns im Haus aber sowieso absolutes Chaos, da in unserer Küche und unserem Wohnzimmer nun Fließen verlegt worden sind. Es ist unglaublich, was einen Unterschied diese Fließen machen im Vergleich zu dem rissigen Betonboden von vorher. Es sieht gleich so viel wohnlicher aus. Zwar mussten wir dafür in Kauf nehmen 4 Tage keine Küche zu haben und mittlerweile seit mehr als zwei Wochen kein Wohnzimmer, aber dafür nimmt man das gerne in Kauf. Außerdem steht nun morgen, schätze ich, an die Möbel wieder ins Wohnzimmer zu räumen, da meine Gastmutter und ich gestern die Wände neu gestrichen haben. Also eigentlich haben wir nur die untere Hälfte neu gestrichen. Dort waren einige Stellen nämlich neu verputzt worden, sodass es dringend notwendig war diese neu zu streichen. In Deutschland hätte man dann die ganze Wand neu gestrichen, aber wie meinte meine Gastmutter so schön: “Es muss ja nicht perfekt sein, es soll sich ja nur ähneln.“ Ich finde diese Aktion spiegelt sehr schön die Mentalität der Menschen hier wieder. Es wird nur das gemacht, was unbedingt sein muss, der Rest ist egal.

Im Moment besuche ich außerdem die Hogar Kinder gemeinsam mit Senora Celia, der Frau, die beim Kochen des Mittagessens die Köchin unterstützt, bei sich zuhause. Bisjetzt habe ich drei Familien besucht und das ist mir wirklich unter die Haut gegangen. Die Kinder leben unter Umständen, die in Deutschland, soweit ich das beurteilen kann, gar nicht existieren und ich glaube, das was ich dort gesehen und gehört habe in Worte zu fassen ist kaum möglich. Die Wände waren nur teilweise verputzt, es gab keinen Bodenbelag, eine Familie hatte kein fließendes Wasser, es gab keinen Tisch, an den man sich zum Essen hätte setzen können und gesessen wurde auf umgedrehten Plastikeimern. Den unglaublichen Kontrast dazu hat dann der Flachbildschirm-Fernseher dargestellt, der bei allen drei Familien vorhanden war.
Dass bei vielen Kindern Gewalt zum Alltag gehört, habe ich vorher schon mitbekommen, aber wenn die Mütter einem Auge in Auge erzählen, wie sie von ihren Männern geschlagen werden, dann löst das noch einmal ganz andere Emotionen in mir aus und man versteht auch besser, warum die Kinder sich im Hogar so verhalten, wie sie es machen, wenn man ihre Lebensumstände gesehen hat.
Es sind für mich sehr prägende Besuche und ich freue mich schon, die anderen Familien auch noch besuchen zu dürfen.

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